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UTA REINHARDT: RÜCKKOPPLUNG
Opening reception for the artist: November 20, 2025, 6-9 pm
Exhibition: November 21, 2025 - February 28, 2026

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In seinem Japanbuch L'Empire des Signes von 1970 die deutsche Ausgabe über das Reich der Zeichen kam elf Jahre später plädierte Roland Barthes dafür, die Dinge in der Schwebe zu halten und sie im Ungefähren des Mehrdeutigen wahrzunehmen, kurz, sie in ihrer Zeichenhaftigkeit zu belassen. Er erläuterte den Gedanken am Beispiel des Haiku, einer Gedichtform aus Japan, bei der Wörter aus dem Moment geschöpft und in Reihen aus fünf / sieben / fünf Silben gruppiert werden: Teich mit Seerosen / Wassernuss und Tausendblatt / Frosch springt hinein platsch.
Uta Reinhardt hat kürzlich Orte aufgesucht, die einen Bezug zu diesen semiotischen Ideen haben. Sie war in Otsu am Grab des Matsuo Basho, dem Lehrmeister der Haikudichtung aus dem 17. Jahrhundert, am japanischen Meer, an der Pazifikküste, in Gärten und Tempelanlagen mit Karpfenteichen und am Biwasee nördlich von Kyoto, wo sich der Tempelbezirk des Ishiyama-dera erhebt. Hier soll die Geschichte vom Prinzen Genji entstanden sein, ein Urroman, um das Jahr 1000 abgefasst von einer kaiserlichen Hofdame namens Murasaki Shikibu. Unter anderem fuhr die Malerin auch nach Obuse, an den Ort in Zentralhonshu wo Katsushika Hokusai (1760 1849) Die große Welle von Kanagawa fertigte. Unter diesen Eindrücken entstanden eigene Arbeiten, von denen die Nicole Gnesa Galerie eine Auswahl zeigt, das Wasser, die Pflanze, den Fisch.
Die Bilder von Uta Reinhardt aus dem Reich der Zeichen sind auch Haikus. Sie sind wie tiefe Teiche, die sich kräuseln, wenn nachmittags ein Hauch vom Wind darüber streicht und entlang des Quellkrauts ein Wasserläufer stakst, getragen von der Spannkraft zwischen Wasser und Luft, oder was sonst auszumachen ist an Farben und Formen im Spiegel der Wasseroberfläche, in der Poesie der Wasseroberfläche, auf, über und unter der Wasseroberfläche. Aber Wasseroberfläche: Das klingt auf deutsch nicht schön im Gedicht und auf der Leinwand auch nicht, ein Kompositum aus Vorhandenem, zu lang, sperrig, ausdrucksschwach, ja eigentlich begriffsstutzig und verlegen ums Wesentliche, diese Wasseroberfläche. Das Japanische weiß ein eigenes Wort dafür. Es lautet Minamo.
Je ausdauernder wir die Bilder von Uta Reinhardt betrachten, desto bewusster durchdringen wir die Oberflächen mehrerer Schichten, jeweils nicht genau bestimmbar, aber irgendwie übereinander in ein Gemisch geblendet. Plötzlich erkennen wir das Minamo und hören ein Geräusch, das entsteht, so wie der Frosch ins Minamo springt, die Libelle dicht darüber surrt, der Eisvogel pfeilschnell angeschossen kommt und ins Minamo fällt wie ein Stein, wie ein Edelstein, und der rosarote Karpfen mit der Flosse schlägt im Schlamm. Jetzt sehen wir das Haiku und hören es zugleich, wir hören die Silbe, das Platsch. Es schlägt uns aus dem Bild entgegen.
Was wir wahrnehmen, das bestimmen wir selbst. Wir erzeugen Rückkopplungen aus dem Augenblick heraus, gespeist aus eigener Anschauung, aus eigener Erfahrung, aus eigener Phantasie. Uta Reinhardt arbeitet mit diesen Rückkopplungen und setzt sie gleich mehrfach ins Bild. Ihre Bilder sind offen. Wer mag, dem öffnen sie einen haikuhaften Zugang; wer mag, dem öffnen sie einen Zugang über den Umgang mit den malerischen Möglichkeiten. Wenn Reinhardt die Wasseroberfläche meint, dann in Form von Malerei. („Das Denken beim Malen ist das Malen“, Gerhard Richter 1962 / „Der Verkehr der Farben untereinander, das ist die ganze Malerei“, Rainer Maria Rilke nach einer Ausstellung von Paul Cézanne 1907). Diese Bilder zeigen eine Malerei fern der Abbildung. Eine Malerei, die auf dem Bildträger Farbe verwandelt in Zeichen, in Abstraktion und Illusion, in einen Möglichkeitsraum. Eine Malerei, die das Malen im Bild verstärkt und die Bezüge zu anderen Malern.
Eine Rückkopplung in der Akustik ist ein Nachhall, eine Übersteuerung, eine Verzerrung, bedingt kontrollierbar, oft Selbstläufer. Manchmal ist sie dissonant und störend, manchmal gibt sie dem Ton eine neue Qualität. Sie macht das Klangbild so mehrdeutig wie eines jener Zeichen, die Roland Barthes wohl meinte. Sie ist das Werkzeug der Künstlerin. Darin liegt eine Kraft, die diese Echos hervorruft. Mata ne.
Thomas Weidner, München im November 2025
Thomas Weidner ist Kunsthistoriker, sowie Stellvertretender Direktor und Sammlungsdirektor am Münchner Stadtmuseum.

In his book on Japan, L’Empire des Signes (1971) the English edition, The Empire of Signs, appeared 13 years later Roland Barthes argued for keeping things in suspension, perceiving them in the indeterminate realm of ambiguity; in short, allowing them to remain within their very nature as signs. He illustrated this idea using the example of the haiku, a Japanese poetic form in which words are drawn from the moment and grouped into lines of five / seven / five syllables: Pond with water lilies / water chestnut and milfoil / frog jumps in splash.
Uta Reinhardt recently visited places connected to these semiotic ideas. She went to Otsu, to the grave of Matsuo Basho, the 17th-century master of haiku poetry; to the Sea of Japan, the Pacific coast, gardens and temple complexes with koi ponds; and to Lake Biwa, north of Kyoto, where the temple district of Ishiyama-dera rises. It is said that The Tale of Genji, the primordial novel written around the year 1000 by the imperial court lady Murasaki Shikibu, was conceived there. The painter also traveled to Obuse, in central Honshu, the place where Katsushika Hokusai (17601849) created The Great Wave off Kanagawa. Out of these impressions, her own works emerged, the water, the plant, the fish, a selection of which is now shown by the Nicole Gnesa Gallery.
Uta Reinhardt’s paintings from the Empire of Signs are themselves haikus. They are like deep ponds that ripple when a breath of afternoon wind passes across them and a water strider stalks along the springweed, carried by the tension between water and air or whatever else can be discerned in the mirror of the surface: colors, shapes, the poetry of the water’s skin, on, above, and beneath it.
But Wasseroberfläche (“water surface”) - the German word - sounds awkward in poetry, and even on the canvas: a compound from existing parts, too long, clumsy, lacking expressiveness, almost dull and embarrassed about its essence. Japanese has its own word for it: minamo.
The longer we look at Uta Reinhardt’s paintings, the more consciously we penetrate the surfaces of multiple layers, each indistinct, yet somehow blended together into one. Suddenly, we perceive the minamo and hear the sound that arises when the frog jumps into it, the dragonfly hums just above it, the kingfisher darts down like an arrow and falls into it like a stone, like a gemstone, and the pink carp slaps its fin in the mud. Now we see the haiku and hear it at the same time; we hear the syllable, the splash. It leaps out of the picture toward us.
What we perceive is determined by ourselves. We generate feedback from the moment, nourished by our own perception, experience, and imagination. Uta Reinhardt works with these feedback loops, embedding them in her images in different ways. Her paintings are open. For those who wish, they offer a haiku-like access; for others, an access through the means of painting. When Reinhardt speaks of the water’s surface, she means it in the form of painting. (“Thinking while painting is painting,” Gerhard Richter, 1962 / “The intercourse of colors among themselves, that is what painting is about,” Rainer Maria Rilke after seeing a Paul Cézanne exhibition, 1907.)
These works present a kind of painting far removed from illustration, painting that transforms color on the canvas into sign, into abstraction and illusion, into a space of possibility. It is painting that intensifies painting itself within the image and draws connections to other painters.
In acoustics, a feedback is an echo, an overload, a distortion, partly controllable, often self-perpetuating. Sometimes it is dissonant and disturbing; sometimes it gives a tone new quality. It renders the sound image as ambiguous as one of those signs Roland Barthes had in mind. It is the artist’s tool. In it lies a force that evokes these echoes. Mata ne.
Thomas Weidner, Munich, November 2025
Thomas Weidner is an art historian and Deputy Director as well as Director of Collections at the Munich City Museum.


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